Weltweit sind Frauen und Mädchen mit Behinderungen 10 Mal häufiger von Gewalt betroffenen als Frauen und Mädchen ohne Behinderungen. Warum ist das so und wie zeigt sich diese Gewalt?
Risikofaktoren
Frauen und Mädchen mit Behinderungen erfahren eine Mehrfachdiskriminierung – einerseits aufgrund ihres Geschlechts, anderseits aufgrund der Behinderungen. Diese Diskriminierung kann zu einer besonderen Benachteiligung in verschiedenen Lebensbereichen führen, wie z.B. im Zugang zu Bildung, Beschäftigung und Gesundheitsversorgung. Die Benachteiligungen verstärken die Abhängigkeit von Betreuungspersonen oder sozialen Diensten.
Die geschaffenen Abhängigkeiten wiederum machen Frauen und Mädchen mit Behinderungen besonders gefährdet, psychische und/oder körperliche Übergriffe zu erleben. Die Möglichkeit zur Gegenwehr ist häufig weniger vorhanden als bei Menschen ohne Behinderung. Eine deutsche Studie bestätigt: Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind viel häufiger psychischer sowie körperlicher Gewalt und sexuellem Missbrauch ausgesetzt wie Frauen und Mädchen ohne Behinderung. Die Studie hält zudem fest, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen teilweise das Gefühl vermittelt wird, sie seien wehrlos und sollen keine Ansprüche stellen. Entscheidungen werden häufig von anderen für sie getroffen, ohne dass ihre eigenen Wünsche dabei einbezogen werden. Das passiert auch in romantischen Beziehungen. Dass die Gesellschaft Frauen und Mädchen mit Behinderungen teilweise wiederholt in derartige Ohnmachts-Situationen bringt, ist also ein zusätzlicher Risikofaktor für Gewalterfahrungen.
Reproduktive Gewalt
Eine Gewaltform, die Mädchen und Frauen mit Behinderungen besonders betrifft, ist, dass ihnen teilweise ihre sexuellen und reproduktiven Rechte abgesprochen werden. Sie können zum Beispiel nicht frei wählen, mit wem sie zusammen sein wollen oder ob sie verhüten wollen oder nicht. Dies geht sogar so weit, dass die Zwangssterilisation von Frauen mit Behinderungen noch immer in vielen EU-Ländern erlaubt ist und teilweise auch Schwangerschaftsabbrüche ohne die Zustimmung der Schwangeren durchgeführt werden. Einige Länder praktizieren dies, obwohl sie die Istanbul-Konvention unterzeichnet haben, die Zwangssterilisationen ablehnt.
Leben in Einrichtungen
Bei der individuellen Entfaltungsmöglichkeit und Teilhabe zeigt die genannte Studie außerdem: Frauen mit Behinderungen, die selbstbestimmt in Haushalten leben, unterscheiden sich hinsichtlich Bildung, Beruf, Erwerbstätigkeit und Familie/Partnerschaftsstatus weniger stark von Frauen ohne Behinderungen, als sich in Einrichtungen lebende Frauen mit Behinderungen von Frauen ohne Behinderungen unterscheiden. Frauen mit Behinderungen erleben hier also institutionelle Gewalt. Zudem zeigt eine weitere deutsche Untersuchung von 2024, dass Menschen mit Behinderungen auch in Einrichtungen psychische, physische und sexuelle Gewalt erfahren. Gleichzeitig werden die Bewohner*innen laut dieser Studie kaum bezüglich Gewalt und den möglichen Umgang damit aufgeklärt. Viele kennen keine Fachstellen, an die sie sich im Falle von Gewalt wenden könnten. Die Frauen- und Mädchenberatungsstellen zählen zu diesen Fachstellen. Sie stehen gewaltbetroffenen Frauen und Mädchen und ihren Unterstützer*innen gern zur Seite.
Mangelnder rechtlicher Schutz
In der EU mangelt es aktuell an einem umfassenden Rechtsrahmen, der die Menschenrechte von Frauen und Mädchen mit Behinderungen ausreichend schützt und gewährleistet. Dies ist besonders erstaunlich, da sich die EU und ihre Mitgliedstaaten zur UN-Behindertenrechtskonvention bekannt haben. Auch diese politische Untätigkeit in dem Bereich ist Teil der (strukturellen) Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen mit Behinderungen.
Frauen- und Mädchenberatungsstellen
Die Frauen- und Mädchenberatungsstellen stehen für ein vielfältiges Angebot. Frauen und Mädchen mit Behinderungen verdienen Anerkennung und geschulte Unterstützung für ihre konkreten Sorgen, Fragen und Wünsche. Als Beratungsstelle ist hier besonders Ninlil in Wien hervorzuheben. Bei Ninlil gibt es zum Beispiel Peer-Beratung von Frauen mit Behinderungen für Frauen mit Behinderungen. Neben einem Schwerpunkt zu sexuellen Übergriffen gegenüber Frauen mit Lernschwierigkeiten bietet Ninlil auch Beratungen zu ganz vielen weiteren Themen an, z.B. Familie/Partnerschaft, psychische Gesundheit, Barrierefreiheit oder Wohnen.